Die Tagfalter und Widderchen des Coburger Landes

Altrichter, P., Hübner, G. & Ulmer, A. (2019): Die Tagfalter und Widderchen des Coburger Landes. Schriftenreihe des Naturkunde-Museums Coburg, Heft 30. Coburg. 384 S.

Besprechung von Julian Bittermann (Bayreuth, den 1 Mai 2020)

 

Die Neuerscheinung der Autoren dokumentiert innerhalb der politischen Grenzen von Stadt und Landkreis Coburg die historische und aktuelle Verbreitung von 117 (119) Tagfalter- und 16 Widderchen-Arten.

Besonders die umfassende Recherche und Auswertung der historischen Daten (Literaturdaten, Sammlungsdaten (Museen)), bestehender Datensammlungen (ASK-Daten (LfU) und privater Daten vieler Beobachter), zusammen mit der gezielten Falterkartierung innerhalb der letzten 4 Jahre durch das Autorenteam, bilden die solide Grundlage dieses Werkes.

Zur Auswertung historischer Literaturdaten wurde insbesondere Arno Bergmann (1951, 1952 u.1953): Die Großschmetterlinge Mitteldeutschlands, Bd. 1, 2 und 3, herangezogen und überprüft. In dem Werk finden sich immer wieder Fundangaben für den Bereich Coburg. In der gut recherchierten „Historie zur Schmetterlingsforschung im Coburger Land“ auf Seite 78 wird dem nochmals Rechnung getragen.

Insbesondere der Auswertung der Schmetterlingssammlungen des Naturkunde-Museums Coburg (Herausgeber des Werkes) kommt hier eine bedeutende Rolle zu. Hier werden die wissenschaftlich geführten Sammlungen namhafter oberfränkischer Lepidopterologen (Schmetterlingskundler) wie z.B. von Brückner, Vollrath und Garthe archiviert.

Ergänzend hierzu sind auch die Sammlungsauswertungen von Ott durch den Zweitautoren, sowie von Gick (Museum W. Witt) durch W. Wolf u. J. Bittermann zu nennen. Etliche Angaben finden sich dazu in den Werken von J. Weidemann. Dies zeigt auch, wie wichtig die Anlage von Belegsammlungen war und nach wie vor ist. Viele ehemals heimische Arten konnten so für die „Coburger Fauna“ aus den Sammlungen zweifelsfrei belegt werden. Darunter z.B. Arten wie Segelfalter, Zahnflügel-Bläuling, Kleines Ochsenauge, Großer Waldportier und Berghexe.

Auf die wichtige Bedeutung von Museen und ihrer Aufgabenbereiche „ Sammeln, Bewahren und Forschen“, welche für die Öffentlichkeit oft im Verborgenen bleibt, wird zurecht bereits im Grußwort des Mitherausgebers Dr. Carsten Ritzau hingewiesen.

Die Aussage auf Seite 84 (Gesetzlicher Schutz), dass „Das Anlegen von Sammlungen genadelter („aufgespießter“) Falter…“ nicht mehr nötig ist, wiederlegen die Autoren auf Seite 90 (Geländearbeit) selbst! Bei mindestens 27 (ca. ¼) der abgehandelten Arten ist eine wissenschaftlich abgesicherte Bestimmung nur durch Genitaluntersuchung an Präparaten möglich. Selbst anhand gefangener oder präparierter Falter ist ohne diese Untersuchung eine sichere Artzuordnung nicht möglich. Dies ist daher auch nicht durch photographische Belege, wie behauptet wird „in Zeiten von gut auflösenden Handybildern“ ersetzbar! Bei vielen Arten ist eine Bestimmung anhand von Bildern zwar möglich, doch die Fülle an Bildbestimmungsfragen z.B. im Onlineportal http://www.lepiforum.de beschäftigt ein Heer von Spezialisten, die unter hohem Zeitaufwand bemüht sind, Fotos zu bestimmen, um spätere Fehlmeldungen für die entsprechenden Faunen zu korrigieren. Hierbei wird oftmals darauf hingewiesen, dass eine wissenschaftlich abgesicherte Bestimmung aufgrund der oftmals ungeeigneten Fotos und ohne Präparat bei vielen Arten nicht möglich sei. Daher lösen solche Aussagen wie auch auf Seite 89 als „Rückgangsfaktor Insektensammlung?“ sicher bei vielen Entomologen einen bitteren Beigeschmack aus. Hierdurch wird auch zukünftig ihr mit Schmetterlingsnetz bewaffneter Anblick Argwohn in der Gesellschaft hervorgerufen, anstelle ein tieferes Verständnis für die Allgemeinheit um die wissenschaftliche Arbeitsweisen von Entomologen anzustreben. Dies ist aber auch schon der einzige Wermutstropfen in dem sonst hervorragend gelungenen Werk!

In erster Linie sollte ein solides Werk für Schmetterlings-und Naturliebhaber entstehen, welches „Neueinsteigern“ die Welt der Schmetterlinge näher bringt.Dies wird auch sprachlich in den Kapiteln zur Biologie und Ökologie oder zu den Besonderheiten der Lebensformen von Schmetterlingen, allgemeinverständlich umgesetzt. Schon hier bereitet die hohe Qualität der Bilder dem Auge des Lesers große Freude. Die Bilder sind größtenteils der Erstautorin Petra Altrichter zu verdanken und heben die Qualität des Buches gebührend! Ungeübte Leser*Innen finden die Erklärung unbekannter Fachbegriffe im angehängten Glossar.

Mein persönlicher Lieblingsteil des Buches sind die Kapitel „Tagfalterlebensräume“ und „Steckbriefe ausgewählter wertvoller Tagfalterbiotope“. Hier wird exemplarisch die Charakteristik der unterschiedlichen Biotoptypen anhand der Zusammenhänge zwischen Geologie, Nutzung und Pflanzengesellschaften erklärt. Eine Liste der jeweils dort vorkommenden typischen Schmetterlingsarten folgt zum jeweiligen Biotopfoto und zeichnet somit ein begreifbares Bild einer Lebensgemeinschaft. Nachfolgend werden die „Kronjuwelen der Coburger Landschaft“ in Bild und Text gezeigt und beschrieben. Hier folgen die Autoren (maßgeblich wohl Alexander Ulmer, den ich als hervorragenden Botaniker und Mykologen kennen lernen durfte) der Tradition von Arno Bergmann. Genau diese Bilddokumentation der Landschafts- und Biotoptypen für Nachfolgegenerationen ist es, was mich zum Fan von gedruckten Lokalfaunen macht. Wer weiß, wie lange man noch solche Landschaften vorfinden darf.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass im Kapitel „Ergebnisse“ von ehemals 117 (119) Tagfalter- und 16 Widderchen-Arten im Erfassungszeitraum von 2014 bis 2018 nur noch 85 Tagfalter- und 11 Widderchen-Arten nachgewiesen werden konnten. Dies entspricht einem Verlust von ca. 28% (minus einiger historisch fraglicher Artangaben) aller jemals im Untersuchungsgebiet festgestellten Arten. Es wird aufgezeigt, dass bereits von 1988 bis 2018 nunmehr 93 Tagfalter- und 14 Widderchen-Arten registriert wurden. Das entspricht einem Verlust von 20% innerhalb der letzten 30 Jahre! Dies wird durch die nachfolgende gute Datenanalyse untermauert und zwischen „Gewinnern und Verlierern“ unter den Schmetterlingsarten gebietsweise aufgeschlüsselt. Somit reiht sich das gut dokumentierte Ergebnis des Individuen- und Artenschwundes für den Coburger Landkreis ein in eine lange Reihe jüngerer Publikationen und „Verlustlisten“ über Schmetterlinge. Die Zusammenhänge und Gründe hierfür werden ab Seite 85-88 (Hochzeiten und Rückgang der Schmetterlinge) mit dem Vergleich der Entwicklungen innerhalb der Landnutzung zwischen historischen Zeiten bis zur jüngeren Vergangenheit und hin zum Klimawandel aufgeführt.

Nachdem man sich mit dem Grundlagenteil, „Pflichtteil“ des Buches, gebührend beschäftigt hat, wird man am Schluss mit der „Kür“, den Artkapiteln belohnt! Wiederum ist es die Auswahl der schönen Bilder, welche das Buch zum „Hingucker“ werden lässt. Hier zeigt sich nun die langjährige Erfahrung und die genaue Beobachtungsgabe des Zweitautoren Gerhard Hübners. Als „Schmankerl“ wurden von ihm die Widderchen (Zygaenidae) mit bearbeitet. Auf den Druckseiten kennzeichnen Farbunterschiede am oberen Seitenrand sowie der Flugzeitskala die verschiedenen Schmetterlingsfamilien und helfen auch Ungeübten beim Nachschlagen.

Insbesondere bei der Verbreitung und der Beschreibung der Lebensräume jeder Schmetterlingsart wird der lokale sowie historische Bezug zum Untersuchungsgebiet gut herausgearbeitet. Veränderungen in der Verbreitung zeigen sich besonders gut in der gewählten Darstellungsform der Verbreitungskarte. Diese wird in Viertelquadranten (111) unterteilt und die Funde in drei Zeitschnitten untergliedert. Die Verbreitung wird durch die Angabe einer Rasterfrequenz in Prozent und absolut auf einen Blick erkennbar. Auch der Vergleich zu aktuell und früher ist so leicht ersichtlich.

Ebenso pragmatisch gelöst ist die Darstellung der Flugzeitskalen. Die Monate mit Falternachweisen sind farblich hervorgehoben und jeweils mit der Zahl der beobachteten Individuen versehen. Andere Nachweisstadien sind an der blasseren Farbe zu erkennen. Zudem wird die Zahl der Gesamtnachweise, als auch jeweils der jahreszeitlich früheste und späteste Falternachweis auf einen Blick ersichtlich. Wenn dies dem ungeübten Leser und Schmetterlingsfreund zu kryptisch erscheint, so zeigt eine übersichtliche, wohl durchdachte Erklärung am Anfang der Artkapitel, wie die Angaben zu den Verbreitungskarten, Darstellung und Flugzeittabellen zu lesen sind!

Im „schwarzen Teil“ der Artkapitel werden alle im Untersuchungsgebiet vor 1988 ausgestorbenen, verschollenen oder fraglichen Arten behandelt. Das Verschwinden wird anhand der historischen Daten in Bezug zu den aktuell noch bestehenden Populationen anderer Landesteile gestellt. Veränderungen innerhalb der Lebensräume (Wirtspflanzenvorkommen, Nutzung) werden im Zusammenhang mit den Artansprüchen benannt. Was mit Erscheinen bereits klar war, mit großer Wahrscheinlichkeit dürfte von einem Leser bereits heuer schon eine weitere Tagfalterart für das Coburger Land nachgewiesen werden können! Der Karstweißling! Somit dient dieses Druckwerk als solide Grundlage dazu, die weitere Entwicklung der Schmetterlingsfauna fortzuschreiben!

Ich würde mich persönlich freuen, wenn die im Werk verwendeten, als auch künftige aktuelle Daten der Fortschreibung des Tagfalteratlas Bayern zur Verfügung gestellt würden. Denn die zukünftige Aufgabe wird es sein, im Gegensatz zu gedruckten Versionen, die immer nur eine Momentaufnahme der aktuellen Bestandssituation darstellen können, aktuelle Veränderungen in der Verbreitung abrufen zu können. Onlineportale bieten künftig die Möglichkeit aktuelle Bestandsentwicklungen, Veränderungen von Verbreitungsarealen und phänologische Verschiebungen anschaulich und dynamisch in übersichtlichen Karten, Diagrammen und Tabellen darzustellen.

Als Abschluss findet sich eine Liste der Nutzpflanzenarten, die es erlaubt, die Bedeutung zwischen Raupenwirtspflanze und Nektarpflanze für Falter zu unterscheiden. Dies hilft besonders bei der Nachsuche der verschiedenen Entwicklungsstadien in geeigneten Lebensräumen, als auch für die insektenfreundliche Gartengestaltung und Pflanzenauswahl im Siedlungsbereich.

Dieses Schmetterlingsbuch ist bereits im Dezember 2019 erschienen. Soll ich mir nun noch ein Tagfalterbuch zulegen? Ich meine, unbedingt! Nicht nur, dass es gerade zum „Start der Schmetterlingssaison“ dazu anregt, genauer hinzusehen, es ist auch für den unschlagbaren Preis von 20,-€ als Geschenk gut geeignet. Es zeigt exemplarisch, wie wichtig Lokalfaunen sind, wenn sie gesamtheitlich dokumentiert und vorbildlich umgesetzt werden. Somit kann es qualitativ selbst mit Landesfaunen mithalten. Zudem ist es zusätzlich für den Liebhaber anderer Tiergruppen interessant, da es als konzeptionelle Vorlage dienen kann. Aber auch z.B. für die Kollegen des angrenzenden Thüringen ist es „ein Muss“!

An dieser Stelle nochmals mein Glückwunsch an das Autorenteam zu diesem gelungenen Werk!

ISBN Nr: 978-3-9805080-6-3. Altrichter, P., Hübner, G. & Ulmer, A. (2019): Die Tagfalter und Widderchen des Coburger Landes. Schriftenreihe des Naturkunde-Museums Coburg, Heft 30. Coburg. 384 S. Herausgegeben von Dr. Carsten Ritzau, Naturkunde-Museum Coburg, Park 6, D-96450 Coburg.

Zu beziehen beim Naturkunde-Museum Coburg:
http://www.naturkunde-museum-coburg.de/index.php

und beim Landesbund für Vogelschutz (LBV):

https://coburg.lbv.de/lbv-kreisgruppe-coburg.html

https://www.lbv-shop.de/search?sSearch=coburg